„Schreibst du auch alles mit?“ Spätestens als meine damalige Chefin mich in der Vorstandssitzung vom Referenten zum Protokollanten machte, wurde mir klar, dass Mitgestaltung und Mitbestimmung in einem Angestelltenverhältnis immer Grenzen haben und nicht selten der Willkür anderer unterliegen. Ich wollte mich aber wirklich einbringen statt nur die Ideen anderer mitzuschreiben und umzusetzen; und so hat dieses Erlebnis mich wesentlich darin bestärkt, den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen.
Vielleicht erinnerst du dich noch an deine Hoffnungen, die du ganz zu Beginn als Selbstständige oder Unternehmerin hattest: endlich die eigenen Fähigkeiten voll entfalten, in Projekten wesentlich mitgestalten und die Welt mit deiner Arbeit zu einem besseren Ort machen – davon habe ich auch geträumt. Doch in der Realität hatte ich immer wieder mit Auftraggebern und Projekten zu tun, die mir eine ganz andere Rolle zuweisen wollten.
In der Realität hatte ich immer wieder mit Auftraggebern und Projekten zu tun, die mir eine ganz andere Rolle zuweisen wollten.
Die Selbstständigen und UnternehmerInnen, die heute zu mir ins Coaching kommen, können davon ein Lied singen. Sie wollen ihre Kunden mit ihrem ganzen Wissen und Können, mit ihrer jahrelangen Erfahrung und Expertise unterstützen, werden von ihnen jedoch immer wieder ausgebremst: Ständig mischen die Auftraggeber sich in die Arbeit ein, glauben alles besser zu wissen, liefern wichtige Infos nicht oder viel zu spät, brauchen das Ergebnis aber am besten gestern, wollen sich nicht festlegen, müssen alles langwierig diskutieren und kontrollieren jede Kleinigkeit. Puh …
Warum wir verkümmern, wenn wir nicht mitgestalten
So bleibt von der Freiheit und Selbstbestimmung, mit der wir in unser Business starten, oft nur wenig übrig. Und es besteht die Gefahr, in einem selbstgeschaffenen Hamsterrad zu landen, das sich gar nicht so sehr von dem vermeintlichen Gefängnis einer Anstellung unterscheidet.
Ich beobachte zwei Tendenzen, wie Selbstständige und UnternehmerInnen damit umgehen (und sich das Leben schwer machen): Entweder sie nehmen die ihnen vom Kunden zugewiesene Rolle der braven Dienstleisterin an und malochen über ihre Grenzen hinaus, um alle Korrekturen und Sonderwünsche zu bedienen. Oder sie weisen das weit von sich, toben innerlich bei jeder Forderung des Auftraggebers und reiben sich am ständigen Machtkampf auf.
Wer nicht motiviert ist, bringt auch keine Bestleistung.
In beiden Fällen schwindet die intrinsische Motivation – also der Antrieb, den wir aus eigenem Interesse am Projekt oder aus Überzeugung für unsere Arbeit haben. Alles fühlt sich schwer an, macht keinen Spaß mehr und fordert über die Belastungsgrenze hinaus. Darunter leidet nicht nur die Beziehung zum Kunden, sondern auch das Ergebnis der Zusammenarbeit. Wer nicht motiviert ist, bringt auch keine Bestleistung.
Wie du fehlender Mitbestimmung auf die Schliche kommst
Wenn du dich in dem einen oder anderen Punkt wiederfindest und den Gestaltungsspielraum in deiner Arbeit zurzeit vermisst, ist das kein Grund zum Verzweifeln. Ganz im Gegenteil: Das Problem zu erkennen und benennen zu können ist der erste (und wichtigste) Schritt dazu, es zu lösen.
Die folgenden Fragen helfen dir dabei, eine Bestandsaufnahme zu machen und herauszufinden, wo genau dir Mitgestaltung und Mitbestimmung fehlen:
- Arbeitest du derzeit an Themen und Projekten, die dich wirklich interessieren?
- Erledigst du Aufgaben, in denen du wirklich gut bist oder in denen du richtig gut werden willst?
- Arbeitest du mit Menschen zusammen, die dich respektieren und dir freundlich begegnen?
- Wirst du von deinen Kunden als Expertin mit Wissen, Fähigkeiten und Erfahrung wahrgenommen?
- Erfüllt dein Business, was du dir davon ursprünglich erhofft hast (oder übertrifft es deine Erwartungen gar)?
Je mehr Fragen du mit ja beantwortest, desto wahrscheinlicher ist es, dass du dich in deinem Business schon so einbringst, wie du dir das wünschst. Alle Fragen, die du mit nein beantwortest, zeigen dir, wo du deinen Gestaltungsspielraum noch vergrößern kannst.
Das kannst du jetzt tun, um dich mehr einzubringen
Auch wenn nicht mehr (oder noch nicht) alles so läuft, wie du dir das vorgestellt hattest, musst du dich nicht durch deine Aufträge quälen und auf bessere Zeiten hoffen. Sondern du kannst an drei Stellen ganz konkret ansetzen, um dich in deiner Arbeit mehr einzubringen.
Wenn dich ein Projekt langweilt, frage dich, wie du daran wachsen kannst. Egal, was wir im Business und im Leben tun – auch wenn wir es schon hundert Mal gemacht haben –, es bietet uns immer die Chance, Neues (an uns) zu entdecken und besser zu werden.
Wenn dich ein Projekt langweilt, frage dich, wie du daran wachsen kannst.
Wenn du soloselbstständig bist und eine Aufgabe dich nervt, überlege dir, ob du sie wirklich erledigen musst. Selbstständig zu sein heißt ja nicht, selbst ständig ran zu müssen – aktiviere die Unternehmerin in dir, konzentrier dich auf deine Stärken und hol dir Unterstützung für die Dinge, die anderen leichter von der Hand gehen als dir.
Wenn du mit Menschen zusammenarbeitest, die dich stressen, mach dir bewusst, dass der Stress bei dir selbst entsteht. Ein Auftraggeber, der dich anruft und von dir etwas verlangt, ist erstmal nur ein Auftraggeber, der dich anruft und von dir etwas verlangt. Erst in deinem Kopf wird er zu einem Auftraggeber, der Druck macht und dem du dringend etwas liefern musst. Du entscheidest, was du davon annimmst und wie du darauf reagierst.
Wenn du mit Menschen zusammenarbeitest, die dich stressen, mach dir bewusst, dass der Stress bei dir selbst entsteht.
Wenn du den Eindruck hast, dass dein Business dich mehr fordert, als es dir gut tut, schau mal, wie du es dir leichter machen kannst. Frage dich vor allem, welchen Stellenwert die Arbeit in deinem Leben einnimmt: Welche Bedürfnisse muss sie wirklich befriedigen – und welche kannst du auch durch andere Lebensbereich (Partner, Freunde, Freizeit, Spiritualität, usw.) abdecken?
So bringst du dich auch zukünftig in die Zusammenarbeit ein
Wenn du die Fragen oben (ja/nein) beantwortest hast, weißt du jetzt schon ziemlich gut, in welchen Bereichen deiner Arbeit du dich voll einbringen kannst, und in welchen Bereichen du deinen Gestaltungsspielraum vergrößern willst.
Die folgenden Fragen helfen dir dabei, deine Erwartungen an die zukünftige Zusammenarbeit mit deinen Kunden zu konkretisieren:
- Was erwartest du von Projekten? In welchen Themenfeldern willst du aktiv sein, deine Fähigkeiten einbringen oder dein Wissen erweitern? Welche Aufgaben willst du erledigen (und welche nicht)? Welche Rolle und Funktion willst du einnehmen?
- Was erwartest du von Kunden? Mit welchen Menschen willst du zusammenarbeiten; wie sind die so drauf? Wie willst du als Auftragnehmer gesehen und wertgeschätzt werden? Wie sehr willst du in eingebunden sein?
- Was erwartest du von deiner Arbeit? Welche persönlichen Bedürfnisse soll dein Business erfüllen: Willst du damit für finanzielle Sicherheit sorgen, für deine Arbeit Anerkennung finden oder dort tiefe Verbindungen mit anderen Menschen eingehen?
Am besten nimmst du dir 10-15 Minuten Zeit und schreibst alles auf, was dir zu diesen Fragen einfällt. Jetzt steht da schwarz auf weiß, wie du dir das vorstellst, dich in deiner Arbeit und der Zusammenarbeit mit Kunden wirklich einzubringen. Du kannst dieses Wunschbild aufbewahren und immer mal wieder dazu zurückkehren. Oder du hängst es dir im Büro auf, wo du es jeden Tag vor Augen hast.
Einer meiner Coachees hat seine Antworten zu einem Messinstrument gemacht, das er bei jeder Angebotserstellung an neue Projekte anlegt. Die Notizen liegen in einem Ordner mit der Angebotsvorlage und erinnern ihn regelmäßig daran, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche nicht zu vergessen. Eine andere Coaching-Kundin benutzt ihre Antworten dazu, abgeschlossene Projekte zu evaluieren. Das hilft ihr dann dabei zu entscheiden, ob sie eine Zusammenarbeit fortsetzen will oder wie das nächste neue Projekt aussehen muss.
Ich wünsche dir viel Freude dabei, diese Instrumente selbst auszuprobieren und dich in deinen Projekten wirklich einzubringen: mit deinem ganzen Wissen und Können, mit deiner Erfahrung und Expertise – volle Entfaltung voraus!
Patrik Frauzem unterstützt Selbstständige und UnternehmerInnen dabei, ihre Talente und Fähigkeiten ungebremst zu entfalten und damit in der Welt wirklich etwas zu bewegen – egal wer oder was gerade stresst.
Photos: Unsplash